Die neu erschienene Biotechnologie- und Pharma-Studie des Referats für Arbeit und Wirtschaft zeigt Branchentrends im Bereich der Biotechnologie- und Pharmaindustrie in der Europäischen Metropolregion München auf. Eine wichtige Rolle spielt dabei der globale Megatrend Digitalisierung.
Der Anwendungsbereich der Biotechnologie ist breitgefächert und bietet ein besonderes Potenzial für Innovationen. Somit gilt die Biotechnologie als sektorübergreifende Schlüsseltechnologie. Um die wichtige Branche zu analysieren, wurden eine Firmenumfrage sowie Detailinterviews mit 16 Biotechnologie- und Pharmaunternehmen und fünf Forschungseinrichtungen in der Europäischen Metropolregion München durchgeführt.
Die Biotechnologie-Studie zeigt einige klare Branchentrends auf: hin zu personalisierter Medizin, zu Zell- und Gentherapien, zur Entwicklung von Impfstoffen und Immuntherapien und eben zur Digitalisierung – zum Beispiel im Rahmen der Verwendung von Künstlicher Intelligenz oder Big Data. Im Folgenden betrachten wir den Trend zur Digitalisierung näher.
Chancen durch Digitalisierung im Gesundheitssystem
Grundsätzlich verfügt Deutschland über ein gutes Gesundheitssystem. Jedoch schneidet es im internationalen Vergleich hinsichtlich seines Verhältnisses von Kosten und Performance weniger positiv ab. Hier bietet die Digitalisierung besondere Chancen: die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems ließe sich mit einer zunehmenden, zielgerichteten Digitalisierung deutlich verbessern.
Dazu hat die Bundesregierung im November 2019 das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) beschlossen. Es soll die Gesundheitsversorgung auf eine digitale Basis stellen und weiterentwickeln. Ziel ist es, dass Patientinnen und Patienten selbst stärker in ihre Versorgung und Therapie eingebunden werden. Zu den Maßnahmen des Gesetzes zählen Online-Sprechstunden, die elektronische Patientenakte, das elektronische Rezept, aber auch Gesundheits-Apps. Weiterhin steigt die Bedeutung digitaler Methoden wie Künstliche Intelligenz und darunter vor allem Maschinelles Lernen. Sie gelten als wichtigste Treiber der digitalen Revolution im Gesundheitsbereich und bergen enorme Potenziale.
Demgegenüber stehen aber noch bedeutende Herausforderungen. Hierzu zählen insbesondere die hohen Anforderungen an den Datenschutz im Gesundheitssystem: Einerseits sind Gesundheitsdaten besonders wertvoll für das Vorantreiben von Innovationen und sollten dahingehend genutzt werden können. Der Zugang zum „Datenschatz“ ist eine entscheidende Voraussetzung für die Gesundheitswirtschaft zur Verbesserung ihrer Performance und Wettbewerbsfähigkeit. Er gilt sogar als eigenständiger Standortfaktor im internationalen Wettbewerb. Andererseits sind Gesundheitsdaten äußerst sensibel und benötigen daher klare Standards zu ihrem Schutz. Eine datenschutzkonforme und ethische Verwendung der Daten muss unbedingt gewährleistet sein. Ein Thema, dem wir uns hier auf dem Blog erst vor kurzem unter dem Stichwort privacy by design gewidmet haben.
Entwicklung von Telemedizin und Health-Apps
Wird von der Digitalisierung des Gesundheitssystems gesprochen, landet man unweigerlich auch beim Begriff der Telemedizin. Darunter ist die medizinische Versorgung über eine räumliche und/oder zeitliche Distanz gemeint. Insbesondere der Bereich der Telemedizin hat im Zuge der Corona-Pandemie einen deutlichen Zuwachs erzielt. So stieg zum Beispiel die Nachfrage nach Video-Sprechstunden vom ersten auf das zweite Quartal 2020 rasant an.
Mit der Telemedizin verbundene Anwendungsbereiche, wie das elektronische Rezept oder die digitale Krankschreibung, wurden erstmals durch das Münchner Startup TeleClinic in Deutschland erfolgreich rechtsgültig eingeführt. Nun wird ab dem Jahr 2022 die Nutzung des elektronischen Rezeptes für verschreibungspflichtige Medikamente verpflichtend. Zudem wird die Einführung zusätzlicher digitaler ärztlicher und psychotherapeutischer Verordnungen vorangetrieben.
Einen weiteren wichtigen Bereich digitaler Anwendungen im Gesundheitsbereich stellen Gesundheits-Apps dar. Bei der Nutzung von mobilen Health-Apps für Fitness, Ernährung oder Gesundheit zeichnen Nutzerinnen und Nutzer ihre Gesundheitsdaten selbst auf. Dies wird oft ergänzt oder unterstützt durch die Nutzung von Wearables, wie zum Beispiel Smartwatches. Die auf diese Weise gesammelten Daten bergen ein großes Potenzial vor allem für die angewandte Gesundheitsforschung. Denn durch das Erzeugen, Zusammenführen und Analysieren von Gesundheitsdaten lassen sich innovative Lösungen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung entwickeln. Mit KI-basierten Datenanalysen können dann die Früherkennung, Vorsorge und Diagnostik verbessert werden. Ebenso entstehen personalisierte und damit effizientere Therapien – gerade im Kampf gegen chronische Krankheiten wie Diabetes, Herzinsuffizienz, Krebs oder auch seltene Erkrankungen.
Telemedizin: Kernelement elektronische Patientenakte
Hinter dem Begriff „elektronische Patientenakte“ (auch kurz ePA) verbirgt sich ein zentrales digitales Dokument zum Austausch von medizinischen Daten zwischen Ärztinnen und Ärzten und ihren Patientinnen und Patienten. Wie auch den Informationen des Bundesgesundheitsministeriums zu entnehmen ist, werden darin Daten gespeichert, wie zum Beispiel Arztberichte, Röntgenbilder oder auch Medikationspläne, die oft an verschiedenen Stellen im Gesundheitssystem dokumentiert werden. Abgelegt werden die Daten in der zentralen Telematikinfrastruktur. Sie sind damit im Bedarfsfall schnell und vollständig abrufbar. Die Hoheit über die in der Akte gespeicherten Daten hat jeweils die Patientin beziehungsweise der Patient. Sie oder er entscheidet, welche Leistungserbringer wie lange auf welche Daten zugreifen können. Zusätzlich kann ein Notfalldatensatz angelegt werden, welcher auch auf der Gesundheitskarte gespeichert wird und damit für sämtliches ärztliches Personal auslesbar ist.
Da die Gesundheitsdaten, wie schon erwähnt, eine tragende Rolle bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens und der Entwicklung von Innovationen spielen, wird die elektronische Patientenakte oft als Kernelement des digitalen Gesundheitswesens betrachtet. Die Themen Datenschutz und Datenzugang werden aber aktuell noch kontrovers von Expertinnen und Experten der Branche diskutiert. Aktueller Stand ist, dass seit dem 1. Januar 2021 das Angebot der elektronischen Patientenakte für die Krankenkassen gegenüber ihren Versicherten verpflichtend ist. Die Nutzung durch die Versicherten ist dagegen freiwillig. In der Regel geschieht das über eine mobile App.
Anwendung von digitalen Technologien in der Biotechnologie- und Pharma-Branche
Der Einsatz von digitalen Technologien wie Big-Data-Analysen und Künstlicher Intelligenz verspricht deutliche Fortschritte auf den Gebieten Diagnostik und Versorgung, aber auch hinsichtlich der Kosteneffizienz. Im Bereich der Diagnostik wird mittels Künstlicher Intelligenz zum Beispiel die Auswertung bildgebender Verfahren optimiert. So können Routineabläufe verbessert werden und Ärztinnen und Ärzte mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten gewinnen. Die digitale Technologie trifft dabei selbst keine autonomen Entscheidungen. Vielmehr unterstützt sie Ärztinnen und Ärzte wie Patientinnen und Patienten dabei, fundierte individuelle Entscheidungen zu treffen.
Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Entwicklung von Medikamenten, bei welcher vor allem die Wirkstoffentwicklung sehr aufwändig und teuer ist. Das hohe Datenverarbeitungspotenzial von Künstlicher Intelligenz und Maschinellem Lernen hilft hier, maßgeschneiderte neue Wirkstoffe in kürzerer Zeit zu finden. Das Einsparpotenzial durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz wird in diesem Bereich bis zum Jahr 2028 auf über 70 Milliarden US-Dollar beziffert.
Anschließend an die Entwicklung neuer Wirkstoffe findet die Durchführung klinischer Studien statt, um eine Marktzulassung für das entwickelte Medikament zu erhalten. Auch diese Studien sind sehr zeitaufwändig und teuer. Im Zuge der Corona-Pandemie wurde die Durchführung klinischer Studien zudem vor weitere Herausforderungen gestellt; sie mussten angepasst, ausgesetzt oder sogar gestoppt werden. Es zeigte sich klar die Bedeutsamkeit von hybriden oder vollständig virtuellen klinischen Studien. Mittels hybrider klinischer Studien könnten die Besuche von Studienteilnehmenden im Studienzentrum reduziert werden. Dafür könnten Wearables, elektronische Tagebücher (eDiaries) und Telematiklösungen eingesetzt werden. In einem weiteren Schritt wären auch vollständig virtuelle Studien denkbar, die auf virtuellen Patientinnen und Patienten aufbauten und mittels Big-Data-Datensätzen die Durchführung der Studien ermöglichen würden.
Wie ist der Stand zum Einsatz digitaler Technologien laut Biotechnologie-Studie?
Die in der Biotech-Studie befragten Unternehmen gaben an, vorwiegend Big-Data-Analysen sowie Methoden der Künstlichen Intelligenz anzuwenden (Abbildung 1). Weiterhin wurden auch der 3D-Druck sowie das Internet of Things als Anwendungstechnologien genannt. Die Blockchain-Technologie findet dagegen noch wenig Anwendung in der Digitalisierung der Biotechnologie- und Pharmaindustrie.
Grundsätzlich steht die Branche der Digitalisierung positiv gegenüber: 89 Prozent der Befragten sehen sie eher als Chance denn als Herausforderung. Gleichwohl existieren auch Hürden. Dazu zählen vorrangig die IT-Sicherheit, der Datenschutz sowie die hohen Kosten.
Münchner Start-ups im Biotech-Cluster
Sehr erfreulich ist, dass sich beinahe in jedem der vorgestellten Digitalisierungsbereiche der Biotech-Studie mindestens ein Münchner Start-up finden lässt, das mit seinen Innovationen die Digitalisierung weiter vorantreibt. Hier zeigt sich die Anziehungskraft des Biotechnologie- und Pharma-Clusters mit Zentrum in Martinsried. Die Cluster-Organisation BioM ist zudem eine wichtige Akteurin, die das Ökosystem zusammenführt und -hält. So ist München nicht zuletzt aufgrund des guten Zusammenspiels der vier starken Gruppen im Netzwerk – Biotechnologie- und Pharma-Industrie, Kliniken, Forschungsinstitute und BioM – als Biotechnologie-Hotspot mit internationaler Sichtbarkeit bekannt.
Welchen Beitrag die Biotechnologie- und Pharmabranche zur Wirtschaftsleistung der Europäischen Metropolregion München leistet, wie sie international in Hinblick auf Forschung und Entwicklung dasteht und welche Start-ups mit vielversprechenden Innovationen aufwarten, lesen Sie in der gesamten Biotechnologie-Studie, die Sie als pdf-Dokument herunterladen können. In englischer Sprache steht ein zwölfseitiger Executive Summary zur Verfügung.
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