Integration durch Weiterbildung
Liebe Oksana, es berührt mich sehr trotz der aktuellen Situation in Deiner Heimat heute mit Dir sprechen zu können. Wir haben vereinbart, private Fragen dazu außen vor zu lassen. Lass uns deshalb einsteigen mit dem Projekt ReDI School, das die Landeshauptstadt München über das Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ) unterstützt. Möchtest Du uns mehr über Deine Motivation erzählen?
Danke Stephanie! Ja, ich habe lange überlegt das Interview abzusagen. Mich jedoch dafür entschlossen, weil ich das Projekt ReDI School heute noch wichtiger finde. Denn die Vermittlung digitaler Kompetenzen öffnet Menschen mit Migrationshintergrund neue Wege zu mehr Teilhabe am Arbeitsmarkt. Ich habe Kultur- und Religionswissenschaften an der LMU studiert. Um meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, habe ich mich bei der ReDI School beworben, wo ich nun seit September 2021 studiere. Besonders interessiert mich die Frontend-Entwicklung, also jener Teil einer digitalen Anwendung, mit dem die Nutzerinnen und Nutzer interagieren. Da sehe ich viele Anknüpfungspunkte zu meinem bisherigen geisteswissenschaftlichen Studium.
Was heißt für Dich Digitalisierung?
Digitalisierung bedeutet für mich Freiheit im Sinne von Unabhängigkeit von Raum und Zeit. Wir können von überall interagieren, sind nicht mehr an einen physischen Ort gebunden. Zugleich ist damit eine große Verantwortung verbunden.
Dazu gehört für mich zunächst der eigene Umgang mit der Digitalisierung. Denn so wichtig wie die körperliche Hygiene, ist das, was ich gerne als „digitale Hygiene“ bezeichne: der nötige Abstand sowie Selbstdisziplin, sich nicht ständig in der virtuellen Welt zu verlieren. Auch in Bezug auf die Informationen, die ich dort konsumiere. Ein anderes großes Thema ist für mich „Vertrauen“. Egal ob wir aktiv oder passiv unterwegs sind, wir alle müssen dazu beitragen Fakten von Manipulation zu unterscheiden.
Nachrichten aus dem Netz sollten wir also immer auf den Prüfstand stellen und ihre Quelle genau unter die Lupe nehmen, besonders bevor wir etwas weiterleiten. Sonst entwickeln sich schnell sich selbst bestätigende Muster und Meinungsbilder. Gezielte Desinformationen können eine gefährliche Wirkung auf Ereignisse, Strukturen und Menschen haben.
Ganz sicher bin ich aber keine Digitalisierungsskeptikerin. Digitalisierung ist für mich eine Entwicklung, der wir uns stellen und die wir für uns nutzen sollten.
Digitalisierung ist Freiheit und Verantwortung
Welche Vorteile hat Digitalisierung für Dich persönlich?
Zum Beispiel die Zeitersparnis durch die Nutzung der Onlinedienste der Stadt für Behördenangelegenheiten, die mit meinem Aufenthalt in Deutschland verbunden sind. Privat bin ich überwiegend mit dem Smartphone online und nutze alltägliche Apps wie zum Beispiel die MVG-App „Fahrinfo“, Social Media Apps und natürlich Messenger-Dienste. Nachrichten verfolge ich ausschließlich in Echtzeit über Internet und Social-Media-Kanäle. Das ist manchmal anstrengend, denn ich sehe genau hin, welchen Informationen ich vertrauen kann. So Vieles ist einseitig oder im schlimmsten Fall bewusste Manipulation.
Digitalisierung ist aber auch beruflich wichtig für mich. Durch die bei der ReDI School erworbenen digitalen Kompetenzen bekomme ich bei der Stellensuche als Geisteswissenschaftlerin wesentlich mehr Angebote.
Richtig umgesetzt bedeutet Digitalisierung einen Kulturwandel hin zur Offenheit und Transparenz. Es ist Zeit, Schwarz-Weiß-Denken abzulegen und stattdessen Verantwortung zu übernehmen für das, was wir im Netz aufnehmen, kundtun und teilen. Digitalisierung bedeutet Freiheit und Verantwortung zugleich.
Teilhabe individuell und gemeinschaftlich
Was bedeutet digitale Teilhabe für Dich?
Digitale Teilhabe bedeutet für mich die Digitalisierung als Teil unserer Wirklichkeit anzunehmen und mich entsprechend weiterzuentwickeln. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass WLAN mittlerweile zur Grundversorgung zählt. Erst durch die IT war in dieser Zeit Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weiterhin möglich.
Mir sind aber auch persönliche Kontakte sehr wichtig und ich möchte Wahlfreiheit haben, ob ich im Büro oder virtuell arbeite. Für mich heißt Digitalisierung also nicht, das analoge Miteinander weitgehend abzustellen. Wir sollten uns vielmehr mit der Digitalisierung im Sinne einer Optimierung auseinandersetzen. Hybride Formate bieten mittlerweile großartige Optionen für Ausbildung, Arbeit und Kommunikation und sollten im Sinne digitaler Teilhabe weiterausgebaut werden.
Wie gelingt es aus Deiner Sicht die Stadtgesellschaft bei der Digitalisierung mitzunehmen?
Als Bürgerin sehe ich es als eine wichtige Aufgabe der Stadt, viele Onlinedienste und andere digitale Angebote anzubieten. Und ich möchte mich dabei auf Datenschutz und einen verantwortungsbewussten Umgang mit Informationen verlassen können.
Das Ziel, die Bevölkerung digital fit zu machen, wird für mich immer wichtiger. Bildungseinrichtungen wie die ReDI School sollte es auch für andere Zielgruppen in der Stadtgesellschaft geben. Die Vermittlung digitaler Kompetenzen sollte in vielen Bildungsangeboten verstärkt Einzug halten und möglichst kostenlos sein. Nicht zuletzt geht es um den Zugang zu freiem WLAN und Technik, etwa in Form von öffentlicher PCs und finanzieller Unterstützung beim Erwerb von Equipment für Menschen mit geringem Einkommen.
Sei #mITdabei
Auf unserem Blog porträtieren wir regelmäßig inspirierende Persönlichkeiten mit ihrer Geschichte zu den Chancen der Digitalisierung im Alltag und vor allem der digitalen Teilhabe. Sie möchten Ihre Erfahrungen gerne mit uns teilen? Wir laden Sie herzlich ein, sich bei uns per E-Mail zu melden: bdr.rit@muenchen.de.
Über die Interviewpartnerin
Oksana Sokyra hat an der LMU München ihr Masterstudium in Kultur- und Religionswissenschaften absolviert. Seit September 2021 ist sie Studentin in der ReDI School of Digital Integration, um ihre digitalen Kompetenzen und ihre Einsatzmöglichkeiten am Arbeitsmarkt auszubauen. Neben den Geisteswissenschaften hat sie dort auch berufliches Interesse im Bereich Frontend-Entwicklung – der Entwicklung von grafischen Oberflächen zum Beispiel für Webseiten – für sich neu entdeckt. Mit Digitalisierung verbindet sie einen Raum von Freiheit und Verantwortlichkeit und einen Prozess der laufenden Weiterbildung.
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Sehr schönes Interview und ein Plädoyer für einen natürlichen und unbeschwerten, aber auch verantwortungsvollen Umgang mit der Digitalisierung.