Im November hat das Münchner Stadtarchiv das neue Biografische Gedenkbuch der Münchner Juden 1933 -1945 online gestellt. Die Zusammenarbeit von Historik und IT bewahrt Tausende verfolgter Münchnerinnen und Münchner vor dem Vergessen. Darüber hinaus lädt die digitale Plattform Forschende und Angehörige zur Beteiligung ein.
Hohe Bedeutung für die Erinnerungskultur der Stadt
Das Biografische Gedenkbuch der Münchner Juden enthält rund 5000 Kurzbiografien von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, viele mit Fotos. Es ist ein Totengedenkbuch: Alle darin verzeichneten Menschen starben während der NS-Zeit, die meisten von ihnen wurden ermordet oder in den Suizid getrieben. Fachkundige Texte helfen bei der historischen Einordnung vieler Einzelinformationen. Oberbürgermeister Dieter Reiter würdigte den Beitrag des Gedenkbuchs für die Münchner Geschichte mit folgenden Worten:
Das Biografische Gedenkbuch entreißt die Namen jüdischer Frauen, Männer und Kinder dem Vergessen und ist ein wichtiger Beitrag zu einer lebendigen Erinnerungskultur in unserer Stadt.
Auch aus Presse und Öffentlichkeit kam viel Anerkennung. Von „einem Werk, dessen Wert gar nicht hoch genug einzuschätzen ist“, schrieb beispielsweise die Süddeutsche Zeitung.
Enge Zusammenarbeit von Historik und IT
Hinter dem aktuellen Online-Gedenkbuch steckt ein gemeinsamer Kraftakt von Stadtarchiv und IT. Basierend auf einer umfangreichen Datenbank hat das Stadtarchiv München 2002 und 2007 gedruckte Publikationen und 2012 eine erste Webseite veröffentlicht. Über Jahre hinweg haben die Kolleginnen und Kollegen des Stadtarchivs die Informationen strukturiert und nach Merkmalen wie Name, Adresse oder Todestag gegliedert. Es folgte eine grundlegende Überarbeitung der bisherigen Bedienoberfläche und Datenbank, die eine neue Qualität ermöglichte: hohe Nutzerfreundlichkeit, mehr Recherche-Möglichkeiten, minimale Antwortzeiten.
Die browserbasierte „KOI-Anwendung Gedenkbuch“ mit angebundener relationaler Datenbank war damit eine gute Basis für die neue, mit Typo-3 realisierte Gedenkbuch-Website, wie Softwareentwickler Daniel Hannuschka erläutert:
- Die Texte im Gedenkbuch werden bei jedem Aufruf live aus der Datenbank heraus generiert. Das heißt wiederum, dass neue Informationen sofort nach der fachlichen Freigabe angezeigt werden.
- Die einheitliche Gliederung von Informationen ermöglich es, mehrere Anforderungen in einer Suche zu verknüpfen. Wer in der Detailsuche die „weiteren Suchoptionen“ aufklappt, kann sich etwa anzeigen lassen, wie viele Kinder unter den Opfern waren. Und diese haben einen Namen, eine Geschichte und oft ein Gesicht.
Um die anfangs langen Ladezeiten zu reduzieren musste Daniel Hannuschka kreative Lösungen suchen. Jetzt werden nicht alle Datensätze auf einmal aus der Datenbank geladen, sondern die angezeigten Inhalte auf 20 Datensätze pro Seite beschränkt. Die Bilder werden nach dem ersten Laden auf dem Gedenkbuch-Server dauerhaft zwischengespeichert. Dadurch verarbeitet die Anwendung die Anfragen nun sehr schnell.
Beispiel: Gedenkbuch-Recherche zu den Deportationen
Wie viel Sorgfalt in der Aufbereitung steckt, erläutert Maximilian Strnad, Historiker und Datenbank-Spezialist im Münchner Stadtarchiv am Beispiel der Deportationen, die am 20. November 1941 begannen: Der Aufruf eines Transportes führt zu einer Namensliste all jener Menschen, die an dem jeweiligen Datum verschleppt wurden. Grau hinterlegt sind auch jene Opfer aufgeführt, die nicht aus München stammten – eine von vielen Angehörigen und Forschenden gewünschte Zusatzinformation. Mehr zur historischen Einordnung erfährt man unter dem Reiter „Verfolgungsgeschichte“ im Kapitel Deportationen
Strnad lobt an dieser Stelle ausdrücklich die gute Zusammenarbeit zwischen Archiv und IT: Jeder hat sich die Mühe gemacht, die Sicht des anderen zu verstehen.
Wie das Gedenkbuch weiterwächst
Die weitere Entwicklung des Gedenkbuchs basiert auf mehreren Säulen: Im Laufe der Zeit könnten weitere der insgesamt 15.000 Biografien veröffentlichen werden, die in der Datenbank erfasst sind. Zusätzlich will man digitalisierte Quellen wie Kennkarten und Briefe integrieren und die Daten noch stärker miteinander verknüpfen, etwa im Bereich der familiären Beziehungen. Auch eine Exportmöglichkeit im CSV-Format soll realisiert werden.
Ein Feedback-Formular fordert schon jetzt ausdrücklich dazu auf, weitere Informationen und Dokumente an das Stadtarchiv zu senden. Schon kurz nach Freischaltung des neuen Gedenkbuchs kamen die ersten Meldungen, berichtet Maximilian Strnad:
Hallo,
bin gerade am recherchieren zu jüdischen Personen v. München. Leider funktioniert das Münchner Gedenkbuch nicht!!! Bitte wieder freischalten!
Danke!
Hallo Herr Kohler,
müsste wieder gehen!
Viele Grüße