Die Stadt München wird die Digitalisierung aktiv so gestalten, dass alle Menschen gleichermaßen von ihren Vorteilen profitieren können. Doch wie kann die Entwicklung geschlechtergerechter digitaler Lösungen und Angebote konkret umgesetzt werden? Hierfür liefern Wissenschaft und Praxis wichtige Anhaltspunkte.
Geschlechtergerechte Digitalisierung – wieso ist die gemeinsame Gestaltung so wichtig?
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass digitale Lösungen von Haus aus geschlechtsneutral und damit für alle Menschen gleich gut nutzbar seien. Wie so oft, kommt es auch hier auf die konkrete Nutzungssituation an. So kann etwa ein Smartphone mit extragroßem Bildschirm praktisch sein, um auch detaillierte Abbildungen oder Videos betrachten zu können. Für Frauen mit zierlicheren Händen ist damit aber eine Bedienung unterwegs mit nur einer Hand kaum möglich.
Frauen zeigen außerdem vielfach andere Präferenzen als Männer bei der Wahl ihrer Ausbildung und ihres Berufs. Sie bringen teils andere Vorerfahrungen mit im Hinblick auf die Nutzung digitaler Anwendungen und nutzen sie auch in anderen beruflichen und privaten Situationen. Diese und weitere Aspekte spielen eine Rolle bei der Gestaltung geschlechtergerechter Digitalisierung.
Geschlechtsspezifische Perspektiven wahrnehmen und einbeziehen
Geschlechtergerechte Gestaltung von digitalen Angeboten und Lösungen beginnt damit, Unterschiede im Hinblick auf Anforderungen und Nutzungsverhalten bewusst wahrzunehmen. Studien, wie der D21 Digitalindex und seine Auswertung zum „Digital Gender Gap“, zeigen beispielsweise, dass Frauen das Internet anders nutzen als Männer. Geschlechterspezifische Aspekte müssen deshalb auch bei der Digitalisierung immer mitgedacht werden (Gender Mainstreaming)
Im Rahmen des Stadtratshearings zur Geschlechtergerechtigkeit in der Digitalisierungsstrategie der Stadt München berichtete Vera Schneevoigt, CIO von Bosch Building Technologies, neben Lisa Hanstein und Corinna Bath von ihren eigenen Erfahrungen mit der Gleichstellung von Frauen in der Digitalisierung. Die Grafik veranschaulicht das Thema:

Graphic Recording zum Stadtratshearing “Geschlechtergerechtigkeit in der Digitalisierungsstrategie der Landeshauptstadt München”, Quelle: Britta Krondorf
Lisa Hanstein von der EAF Berlin, und Corinna Bath, Professorin an der TU Braunschweig, betonten, dass geschlechtergerechte Digitalisierung in allen Phasen der Gestaltung von digitalen Angeboten umgesetzt werden müsse. Dies beginnt bei der Ermittlung von Anforderungen: Damit keine einseitigen, geschlechterungerechten Lösungen entstehen, sollten zum Beispiel schon die Entwicklungsteams möglichst bunt zusammengesetzt sein. Ergänzend dazu ist es wichtig, Befragungen zu Anforderungen und Nutzungsverhalten sowie die Tests fertiger Lösungen mit vielfältig zusammengesetzten Personengruppen durchzuführen. Methodische Hilfestellungen und Leitfäden können zudem die Berücksichtigung von geschlechterspezifischen Anforderungen und die geschlechtergerechte Umsetzung unterstützen.
Digitalkompetenz erschließt Teilhabe am digitalen Leben
Neben der Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Anforderungen von Frauen ist nach Einschätzung von Vera Schneevoigt der Auf- und Ausbau von Digitalkompetenz für Frauen und Mädchen der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe am digitalen Leben und Arbeiten. Es sei wichtig, dass Frauen, die in Ausbildung und Beruf wenig Berührungspunkte mit IT haben, dabei unterstützt werden, Digitalkompetenz zu erwerben und aktuell zu halten.
Die drei Expertinnen empfehlen außerdem die Qualifizierung von Personen, die mit ihrem Fachwissen für Fragen zu digitalen Anwendungen informell zur Verfügung stehen. Sie geben praktische Hilfestellung, um fehlende Erfahrungen auszugleichen und können sowohl Beschäftigte der Stadtverwaltung als auch der Stadtgesellschaft dabei helfen, Berührungsängste abzubauen.
Die Stadt München fördert diesen Ansatz bereits, um etwa ältere Menschen bei der Nutzung digitaler Angebote zu unterstützen: Mit Förderung durch das Sozialreferat der Stadt München werden Ehrenamtliche ausgebildet, die in Altenservicezentren oder an Treffpunkten für ältere Menschen bei Fragen zur Nutzung von Smartphones oder Apps mit Rat und Hilfestellung zur Verfügung stehen.
Risiken für Benachteiligung oder Diskriminierung erkennen und vermeiden
Mit der Anwendung neuer Technologien können auch neue Risiken einhergehen. Die Entwicklung und Nutzung von Algorithmen-basierten-Lösungen ist dann mit Risiken verbunden, wenn sie für die Vorhersage von individuellem Verhalten oder als Basis für Entscheidungssysteme eingesetzt werden. Bekannte Beispiele hierfür sind Lösungen, die zur Beurteilung von Bewerbungsunterlagen im Personalbereich eingesetzt werden.
Wenn die Datenbasis für solche Entscheidungs- oder Empfehlungsalgorithmen Ungleichverteilungen widerspiegelt oder einzelne Personengruppen überhaupt nicht beinhaltet, können sie nicht als Grundlage für geschlechtergerechte Entscheidungen dienen. Wichtig ist es daher, beim Einsatz solcher Systeme die Trainingsdaten auf ihre Zusammensetzung hin zu kontrollieren und die Logik hinter den genutzten Algorithmen für alle nachvollziehbar zu machen.
Die Stadt München ist sich dieser Risiken bewusst. Sie wird Algorithmen-basierte-Systeme nur dann einsetzen, wenn ihre Datenbasis ausgewogen und ihre Entscheidungslogik nachvollziehbar ist. So sind keine Diskriminierungsrisiken mit ihrem Einsatz verbunden. Dazu gehört auch, dass die Abläufe diskriminierungsfrei gestaltet sind. Außerdem müssen die nötigen Kenntnisse zur Beurteilung und Nutzung künstlicher Intelligenz aufgebaut werden.
Gemeinsame Gestaltung als Schlüssel für Geschlechtergerechtigkeit
Geschlechtergerechte Digitalisierung erfordert allerdings nicht nur die Berücksichtigung aller Perspektiven bei der Umsetzung einzelner digitaler Angebote. Auch die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen, Männern und Personen anderer Geschlechter an Entscheidungen über die grundsätzliche Ausgestaltung des digitalen Wandels ist ein wichtiger Schritt. So kann Geschlechtergerechtigkeit im Detail und in den großen Linien berücksichtigt werden. Dr. Daniela Rothenhöfer, Leiterin der Hauptabteilung IT-Strategie und IT-Steuerung / IT-Controlling im IT-Referat der Stadt München betont:
Aus meiner Sicht sind die wichtigsten Handlungsansätze, die Ziele und Maßnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit in der Fortschreibung der Digitalisierungsstrategie auszugestalten und zu prüfen, ob es dabei “Quick Wins” geben kann.
Als IT-Referent und CDO (Chief Digital Officer) der Stadt München sieht Thomas Bönig diesbezüglich viele Möglichkeiten für mehr Gerechtigkeit in und mit der Digitalisierung:
Das Thema Gleichstellung ist nicht nur eine große gesellschaftliche Herausforderung für mehr Fairness, sondern noch viel mehr eine riesige Chance, um noch brachliegende Potentiale zu heben, die bisher leichtfertig vertan und nicht genutzt wurden.
Auf dem Weg zu einer diskriminierungsfreien Digitalisierung müssen Technik, Geschlechtergerechtigkeit und digitale Teilhabe von Anfang an Hand in Hand gehen, meint Nicole Lassal, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt München:
Die Digitalisierung könnte einen innovativen Beitrag zur Gleichstellung leisten, wenn Technik und Geschlechtergerechtigkeit zusammengedacht werden. Dafür brauchen wir einen gleichberechtigten Zugang zu Geräten und digitaler Kompetenz unabhängig von Geschlecht und sozialer Herkunft und eine starke Beteiligung von Frauen in allen beruflichen Bereichen der IT sowie als Entscheiderinnen in Gremien.
Die Umsetzung von Gleichstellung, Inklusion, Diskriminierungs- und Barrierefreiheit als strategisches Gestaltungsprinzip der Digitalisierung hat für München eine große Bedeutung. Die Stadt München wertet daher die Erkenntnisse aus der Diskussion mit den Vertreterinnen aus Wissenschaft und Praxis aus, um daraus weitere konkrete Umsetzungsschritte für die Verankerung von Geschlechtergerechtigkeit in der Digitalisierung zu entwickeln.
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