Wie lässt sich die Vision umsetzen, dass grundlegende Informationen nicht mehr bei jedem Behördenkontakt neu eingeben werden müssen? Wie lassen sich Register, also Datenbestände von Bund, Ländern und Kommunen, sinnvoll miteinander verknüpfen? Welche Datenschutzkonzepte erfüllen die gesetzlichen Voraussetzungen, schaffen Vertrauen und Akzeptanz? In dem beim Bundesinnenministerium angesiedelten Projekt „Registermodernisierung“ arbeitet ein rund 60-köpfiges Team an den Antworten auf diese Fragen. Dr. Rudolf Hauber aus dem Kreisverwaltungsreferat München ist Teil davon. Lesen Sie seinen Bericht zum Stand der Dinge:
Die Vision: Once only und proaktives Handeln – natürlich datenbasiert
Bisher verwaltet und pflegt in der Regel jede Behörde ihre Daten selbst. Wer zum Beispiel nach einem Umzug ein ähnliches Anliegen an ein anderes Amt hat, muss seine Daten erneut eingeben. Das Ziel des E-Governments ist das genaue Gegenteil. Das Prinzip heißt Once Only und besagt, dass Daten der Verwaltung nur einmal mitgeteilt werden müssen. Doch das ist vorerst immer noch Zukunftsmusik.
Genauso Wunsch statt Wirklichkeit sind sogenannte weiterführende Services. Hier erlangen Behörden beispielsweise durch einen Antrag auf Geburtsurkunde ähnliches Wissen, weisen daraufhin proaktiv auf staatliche Leistungen wie Kindergeld hin und zahlen dieses sogar ohne Antrag aus.
Beides soll nicht nur eine Vision bleiben! Das Bundesinnenministerium hat das Projekt Registermodernisierung gestartet, das die Verwaltungen zur Kommunikation untereinander befähigen soll. Wenn Dienstleistungen durch mehrere Behörden laufen, müssten die Antragstellenden nicht mehr jede Stellen erneut mit Daten versorgen. Die Behörden sollen sich stattdessen die benötigten Daten selbst ziehen: Verwaltungsdaten aus den Melderegistern, dem Ausländerzentralregister, den Personenstandsregistern der Standesämter, dem Fahrzeugregister des Kraftfahrzeugbundesamtes und so weiter. Insgesamt circa 200 Verwaltungsregister soll das Projekt zum Zusammenwirken bringen.
Hürden und Potenziale der Registermodernisierung
Bis diese Vision im Alltag angekommen ist, sind eine ganze Reihe von Hürden zu überwinden:
- Wie identifizieren sich Bürgerinnen und Bürger eindeutig?
Heute gibt es noch kein Merkmal, das eine Person über mehrere Register hinweg eindeutig identifiziert. Derzeit wird diskutiert, die Steuernummer des Finanzamtes dazu zu verwenden. - Welche Daten sind führend beziehungsweise „richtig“ oder aktuell, wenn unterschiedliche Einträge gespeichert sind?
Bestes Beispiel sind mehrere Adressen – zum Beispiel durch Umzug. Auch andere Stammdaten wie Name oder Geburtsdatum werden heute nicht zentral verwaltet, sondern finden sich in den verschiedensten Registern mehrfach und unkoordiniert wieder. Es braucht Regeln und sogenannte Verlässlichkeitseinschätzungen der Daten. - Welche Technik ist dazu in der Lage?
Die technische Infrastruktur muss in Zukunft weit besser in der Lage sein, Daten automatisiert auszutauschen. - Ist der Zugriff erlaubt?
In vielen Fällen sind behördenübergreifende, nutzerfreundlichen Angebote gar nicht möglich, weil automatisierte Zugriffe nicht erlaubt sind oder die Schriftform zwingend gefordert ist. Hier gilt es etliche auch rechtliche Hürden zu nehmen.
Das Potenzial der Registermodernisierung ist gleichzeitig enorm – für die Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, aber auch für die öffentliche Verwaltung. Das zeigen schon folgende zwei Zahlen aus der Münchner Stadtverwaltung:
- Allein das Kreisverwaltungsreferat München (KVR) führt mehr als eine halbe Million Identitätsfeststellungen im Jahr durch. Das heißt, es ist mehr als 500.000 Mal zu prüfen, ob eine Person diejenige ist, die sie zu sein behauptet. Grund ist die fehlende Vernetzung der Daten.
- Das Standesamt München stellt fast hunderttausend Urkunden zur Dokumentation von Geburt, Heirat, Lebenspartnerschaft oder Tod aus. Zum großen Teil müssen die Empfängerinnen und Empfänger diese aber gleich wieder bei anderen städtischen Behörden abgeben. Eine direkte Abfrage oder Übermittlung der Daten ist aktuell nicht möglich.
DSGVO-konforme Umsetzung der Registermodernisierung
So schön die Vorteile der Registermodernisierung auch sind, so nachvollziehbar ist auch eine gewisse Furcht vor einem übermächtigen Staat, der persönliche Daten automatisiert auswerten kann. Daher ist eine konsequent DSGVO-konforme, datenschutzsichere Umsetzung der Registermodernisierung von entscheidender Bedeutung. Transparenz muss geschaffen werden. Die Registermodernisierung muss zudem gewährleisten, dass nur erlaubte Datenzugriffe stattfinden und diese sauber protokolliert werden. Des Weiteren soll es ein individualisiertes Datencockpit geben, in dem alle Bürgerinnen und Bürger die über sie gespeicherten Daten einsehen können. Geeignete technische Infrastrukturen werden derzeit entwickelt, diskutiert und erprobt.
Damit verbunden sind weitere aktuelle Themenstellungen:
- Bis Ende 2020 soll eine Registerlandkarte anschaulich darstellen, welche staatlichen Register genau betroffen sind und in welcher Reihenfolge sie befähigt werden sollen.
- Geeignete Anwendungsfälle aus der Praxis müssen festgelegt und erprobt werden. Die Stadt München hat hier die Führerschein-Beantragung vorgeschlagen.
- Erste gesetzliche Regelungen zur Registermodernisierung und zur Einführung eines Personenidentifikators sind in Abstimmung.
Über den Gastautor
Dr. Rudolf Hauber arbeitet in führender Funktion im Kreisverwaltungsreferat München an der Digitalisierung der Verwaltung und ist Mitglied im BMI-Projekt „Registermodernisierung“.
Ich begrüße die Idee von „Once Only“ und „proaktivem Handeln“ ausdrücklich. Doch zur „eindeutigen Kennzeichnung“ habe ich Fragen. Die “eindeutige Kennzeichnung” wird durchaus kontrovers diskutiert, es gibt Einwände von Datenschützern. Wie wurde das Pro und Kontra in der Arbeitsgruppe diskutiert? Wäre mit alternativen Lösungen ein Gewinn an “Vertrauen und Akzeptanz” wahrscheinlich? Was wären die Nachteile? Ich bin verunsichert und würde mich über Kommentare von Sachkundigen freuen. Eine mir bekannte Quelle zu den Einwänden: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Datenschuetzer-Steuer-ID-als-Buergernummer-ist-verfassungswidrig-4881621.html
Dazu gab es gestern beim Open Government Tag #OGMT20 einen spannenden Vortrag über die Datenspeicherung in Estland. Dort ist OnceOnly umgesetzt, d.h. jeder Einwohner / jede Einwohnerin hat eine eindeutige Kennzeichnung. Diese wird dazu genutzt, eine Information nur einmal zu speichern und dann behördenübergreifend zu nutzen.
Der Speaker hat auch über erste Erfahrungen aus Baden-Württemberg mit dem in Estland genutzten System berichtet. Das wäre sicherlich ein guter Input für die AG.