Digitale Teilhabe: Digitalisierung ist immer auch etwas Persönliches

13. Juni 2022
Ein Beitrag von Stephanie Mirlach
Wie gestaltet sich das eigene Nutzungsverhalten, wenn man den Großteil der Kindheit mit digitalen Medien aufgewachsen ist und sich noch dazu die digitale Transformation zum Beruf gemacht hat? Als Digital Native ist Jakob Endres mit den vielseitigen Möglichkeiten von Computern und dem World Wide Web groß geworden. In einem Interview mit Stephanie Mirlach verrät uns der Senior Consultant einer internationalen Unternehmens­beratung in München seine Sichtweise zur Digitalisierung.

Digitalisierung braucht Verständigung

Hallo Jakob, wir haben uns im Vorfeld schon über das Thema Digitalisierung unterhalten und festgestellt, dass es viele Möglichkeiten der Interpretation dieses Begriffs gibt.

Hallo Stephanie! Ja, das ist richtig. Digitalisierung zu definieren ist gar nicht so einfach. Ich erlebe oft, dass es dazu die unterschied­lichsten Sichtweisen gibt. Umso wichtiger ist es, sich erst einmal darüber zu verständigen, ob vom Gleichen gesprochen wird. Digitalisierung bedeutet zunächst die Umwandlung von Analogem in Digitales. Darüber hinaus spielt die Vernetzung digitaler Geräte, wie zum Beispiel Smartphones, Laptops et cetera, eine große Rolle. Also welche Hardware eingesetzt wird, um darüber zu kommunizieren. Und da wird es dann individuell: Fühle ich mich beispiels­weise bereits digital, wenn ich ein Online-Formular ausdrucke und unterschrieben einscanne? Oder ist es für mich notwendig, alles direkt über das Handy via Internet-Verbindung von unterwegs erledigen zu können?

Ich bin es zum Beispiel gewohnt, im Supermarkt mit dem Smartphone zu zahlen oder unterwegs mit einem Freund auf einem anderen Kontinent per Videocall zu sprechen. Andere nutzen digitale Geräte vor allem zum Einscannen von Dokumenten oder zum Schreiben von E-Mails.

Digitalisierung in Beruf und Freizeit

Welche persönlichen Vorteile ziehst Du aus der Digitalisierung?

Vor allem erleichtert mir die Digitalisierung die berufliche Zusammenarbeit. Das funktioniert über unterschiedliche Länder hinweg besonders gut. Was durch die Pandemie wegfallen ist, sind die Geschäftsreisen. Zoom- und Video-Calls sind oftmals deutlich effizienter. Insgesamt sehe ich es als großen persönlichen Vorteil, wenn ich Zeit sparen kann. Digitalisierung im Alltag vereinfacht vieles und optimiert meine Zeit. Ich nutze mein Handy für alles: Ich bestelle meine Lebensmittel, buche mein Bahn-Ticket und nutze das Online-Banking über eine App. Auch die Nachrichten verfolge ich verstärkt über meine abonnierten Social-Media-Kanäle. Da spielt für mich eine große Rolle die Informationen in „Real Time“ zu bekommen.

Foto Jakob Endres

Jakob Endres, Quelle: privat

Meine Freundschaften und Netzwerke pflege ich über die Social-Media-Kanäle. Dabei finde ich die Möglichkeit, sich gleich in größeren Gruppen austauschen zu können, ideal. Wenn ich beispielsweise angebe, in New York zu sein, kann ich mich einfach und schnell mit Leuten vernetzen, die auch gerade dort sind.

Mittlerweile nutze ich auch ausgewählte Funktionalitäten im Bereich Smart Home. So ist beispielsweise meine Spülmaschine mit dem WLAN verbunden. An dieser Stelle gibt es zumindest im privaten Bereich auch für mich Grenzen.

Digitalisierung ist Freiheit und Verantwortung

Haben die neuen Technologien für Dich auch negative Aspekte?

Ein reflektierter Umgang mit neuen Technologien ist mir wichtig. Es gibt nicht nur Vorzüge durch die Digitalisierung. Beruflich sehe ich die Gefahr, dass wir zwar Zeit optimieren, aber auch dazu tendieren uns noch enger zu takten und zum Beispiel noch mehr Meetings zu vereinbaren.

Bekannte von mir nutzen digitale Geräte permanent um sich selbst zu optimieren. Im Sinne von Biohacking tracken sie ihre Gesundheit und lassen sich kontrollieren, wieviel sie trinken, wie viel sie sich bewegen und wie sie schlafen. Da gibt es ja Apps, die mit Hilfe von Sensoren checken, ob du gerade in einer Tiefschlafphase bist, und dich früher aufwecken, bevor du wieder in eine Tiefschlafphase fällst. Da ziehe ich persönlich eine Grenze, denn ich möchte nicht ständig das Handy an meiner Seite haben. Zudem ist es mir wichtig, dass meine Daten nicht kontinuierlich aufgezeichnet und ausgewertet werden.

Man sollte immer für sich selbst bewerten: Welchen Mehrwert, aber auch welche Nachteile bringt mir der Einsatz neuer Technologien? Um darauf basierend zu entscheiden: Was möchte ich nutzen?

Bedeutung der Digitalen Teilhabe

Was verstehst Du unter Digitaler Teilhabe?

Bei der digitalen Teilhabe geht es vor allem darum, dass niemand aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Das ist Aufgabe der Politik. Das gesellschaftliche Ziel muss sein, dass jede Person nach ihrem individuellen Modell gut mitschwimmen kann. Bei der rasanten technischen Entwicklung wird es dabei immer unterschiedliche Geschwindig­keiten geben. Vor kurzem bin ich von einem älteren Herrn in der Stadt angesprochen worden, wo genau die Münze zur Nutzung des E-Scooters eingeworfen werden kann. Dann musste ich ihm sagen, dass man eine Smartphone-App benötigt. Das ist jetzt nur ein kleiner, vermeintlich nicht so wichtiger Anwendungsfall. Nichtsdestotrotz, werden hier Menschen, die kein Smartphone bedienen wollen oder können, ausgeschlossen. Immer weniger Bankfilialen und fehlende Telefonzellen sind Beispiele für Entwicklungen, die vor allem für ältere Menschen Barrieren darstellen können.

Aber nicht nur ältere Menschen sind potenziell ausgeschlossen, sondern auch jede Person, die sich die Hardware nicht leisten kann. Deshalb sollten hier verstärkt politische Maßnahmen entwickelt werden. Sinnvoll wären öffentliche Subventionen, städtische Räumlich­keiten mit Public Hardware sowie begleitende kostenlose oder -günstige Trainings- und Schulungs­angebote, um alle mitzunehmen.

Das Thema Digitale Bildung sollte auch stärker in allen Bildungseinrichtungen verankert sein. Gerade in den Schulen muss sichergestellt werden, dass die Kinder möglichst gut auf den Einsatz digitaler Medien vorbereitet und somit sozialisiert werden. Dabei ist eine moderne IT-Ausstattung der Schul- und Universitäts­landschaft Grundvoraussetzung.

Was ist Dein Wunsch für die Zukunft?

In naher Zukunft sollte es völlig normal sein, dass die Menschen kein Bargeld mehr benötigen und noch mehr mit ihrem Smartphone erledigen können. Das gilt auch für die Behördengänge. Hier wünsche ich mir eine zentrale App, über die ich alle meine Daten und Dokumente als Bürger zentral abrufen kann. Darüber hinaus bin ich auf die Entwicklungen des Metaverses gespannt. Also die Verschmelzung der physischen und virtuellen Welt. Das wird die Digitalisierung nochmals potenzieren! Dabei soll die Stadtgesellschaft stets auf alle Neuerungen vorbereitet werden und sich fit fühlen.

Ganz selbstverständlich ist die Bereitstellung einer stabilen und flächendeckenden Infrastruktur in allen Regionen Deutschlands. Es sollte kein Problem mehr sein, in Zügen überall eine stabile Internetverbindung zu haben.

Sei #mITdabei

Auf unserem Blog porträtieren wir regelmäßig inspirierende Persönlichkeiten mit ihrer Geschichte zu den Chancen der Digitalisierung im Alltag und vor allem der digitalen Teilhabe. Sie möchten Ihre Erfahrungen gerne mit uns teilen? Wir laden Sie herzlich ein, sich bei uns per E-Mail zu melden: bdr.rit@muenchen.de.

Über den Interviewpartner

Jakob Endres kann als Digital Native bezeichnet werden. Er ist den Großteil seiner Kindheit mit den digitalen Medien groß geworden und hat viele Jahre im Ausland, unter anderem in Wien, Maastricht, den USA, London und Hongkong gelebt. Heute wohnt Jakob Endres in seiner Wahlheimat München und berät als Senior Consultant Firmen bei der digitalen Transformation.

1 Kommentar


  1. H. Endres hat erfreulicherweise einige negativen Aspekte zumindest angedeutet. Ich sehe das deutlich kritischer. Als ich meine berufliche Laufbahn begonnen habe gab es noch ein Schreibbüro aber keine Emails. Briefe haben in der Regel mindestens 2 Wochen gedauert bis sie beim Empfänger ankamen. Ist es heute besser? Ich sage nein, der Bürger ist heute mit der Verwaltung nicht zufriedener als damals (mein subjektiver Eindruck) aber die Belastung ist für alle höher (einen Termin digital zu vereinbaren überfordert viele Bürger). Die Menge an Emails und Social Media stellen auch eine erhebliche Arbeitsbelastung dar und entspannende Zeiten wie die Fahrt zur Besprechung inkl. dem Ratsch mit der/dem Kolleg*in unterwegs sind durch die Videokonferenzen entfallen. Viele Dinge wie ein Ticket unterwegs sofort buchen zu können oder berührungsloses Zahlen sind nett aber nicht wirklich notwendig. Die Abhängigkeit von 2 ausländischen Handysystemen ist erschreckend. Die (digital geförderte) Globalisierung stellt eine gigantische Umweltbelastung dar. Ältere und eingeschränkte Menschen (z.B. durch Demenz) werden ausgegrenzt. Ich sehe die Digitalisierung als hippes Spielzeug für junge reiche Menschen.

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Stephanie Mirlach - Mitarbeiterin im CDO-Stab des RIT mit Schwerpunkt Digitale Teilhabe
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Jakob Endres - Interviewpartner
Co-Autoren­schaft:
Jakob Endres
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