Was wünschen sich die Menschen von der Smart City? Chirine Etezadzadeh gibt Antworten

21. August 2020
Ein Beitrag von Dr. Stefan Döring
Sind wir in der Digitalisierung schon zu sehr von anderen abhängig oder können wir in Deutschland eigene Wege gehen? Welche Ansprüche an die Smart City haben die Menschen? Prof. h. c. Dr. Chirine Etezadzadeh, ist Gründerin und Leiterin des SmartCity.institute in Ludwigsburg. In diesem Gastbeitrag gibt sie Antworten auf der Basis langjähriger Erfahrungen und Forschungen in deutschen Kommunen und Smart City Hotspots in China, USA und anderen Ländern.

Stadtentwicklung nah am Menschen

Frau Prof. Dr. Etezadzadeh, was wünscht sich die Gesellschaft am meisten von der smarten Stadt der Zukunft?

Entscheidend ist, was sich die Menschen von ihrem eigenen Lebensumfeld wünschen. Diese Wünsche lassen sich schwer verallgemeinern und müssen in den Kommunen individuell erhoben werden. Doch kann man generell sagen, dass Menschen mehrheitlich Lebensräume schätzen, die der eigenen Lebensqualität zuträglich sind. Dies setzt eine sehr gute Versorgungssituation in allen Bereichen voraus, ein gutes Miteinander sowie – für viele Menschen – ein sicheres, schönes, grünes, sauberes und individuelles Umfeld.

Aufgrund der gegenwärtigen Gesamtlage und des wachsenden Bestrebens, die natürliche Vielfalt dieser Welt zu erhalten, wünschen sich immer mehr Menschen auch nachhaltige und resiliente Städte. In sämtlichen der genannten Aspekte können Smart Cities über die Nutzung von smarten Lösungen und Technologien einzahlen, wenn wir sie dementsprechend gestalten.

Negativen Entwicklungen konsequent entgegenwirken

Tatsächlich hat sich die Stadt München eine „Digitalisierung zum Wohle der Menschen“ vorgenommen. Was sind wesentliche Punkte, um diesen Anspruch umzusetzen?

Hierzu muss unter anderem über Partizipationsmaßnahmen geklärt werden, was das Wohl der Menschen tatsächlich ausmacht. Einige mögliche Aspekte habe ich bereits genannt. Es geht aber auch darum, technische Systeme derart zu gestalten, dass sie das Leben in unseren Städten, Gemeinden und Regionen nicht negativ beeinflussen.

Der instrumentelle Einsatz von Technik kann sehr wertvoll sein. Allerdings kann er auch negative Entwicklungen mit sich bringen, wie Ausgrenzung, Abhängigkeiten, Kontrollverluste, Systemanfälligkeiten, Machtkonzentrationen und eine noch weiter gehende Kommerzialisierung unserer Lebenswelt. Diesen Aspekten muss konsequent entgegengewirkt werden.

Das heißt: Man sollte Technik nur dort einsetzen, wo sie echten Nutzen stiftet und die Systeme so gestalten, dass negative Effekte, wie die genannten, vermieden werden, auch wenn diese individuellen Interessen dienlich sein könnten. Gerade bei der Nutzung von Smart-City-Lösungen brauchen wir eine konsequente Gemeinwohlorientierung, die sich zudem trägt, weil sie Nutzen stiftet.

Viele Menschen sind auch skeptisch bis ablehnend wegen der Erfahrung mit der Überwachung durch digitale Marktführer wie Google oder Amazon. Wie sollten die Verantwortlichen in den Kommunen mit dieser Haltung umgehen?

Diese Skepsis ist völlig berechtigt, obwohl die Konsumentscheidungen vieler Menschen eine andere Haltung vermuten lassen. Die Konsumentinnen und Konsumenten nutzen die Annehmlichkeiten entsprechender Services und geben damit zahllose Informationen gegenüber der Privatwirtschaft preis, welche sie beispielsweise Verwaltungseinrichtungen strikt vorenthalten würden. Leider gilt es dabei oft, zwischen Zustimmung oder Verzicht zu wählen.

Die Situation erfordert daher mehrere Schritte. Erstens, Aufklärung und ein bewusstes Konsumverhalten. Zweitens, die Schaffung alternativer Angebote, die sich mit unserer zu bestimmenden Rechtsvorstellung und datenschutzrechtlichen Anforderungen vereinbaren lassen. Und drittens, eine internationale, europaweite und nationale Regulierung entsprechender Provider sowie des Umgangs mit Daten.

Kommunen haben – gemeinsam mit den kommunalen Unternehmen – in diesem Zusammenhang die Aufgabe und die Chance, entsprechende Systeme zu nutzen oder zu entwickeln, die Betreiberrollen angemessen zu gestalten und damit langfristig und gemeinwohlorientiert auch die Haushaltsfinanzierung zu sichern.

Ist ein eigener Weg noch möglich? Einschätzungen von Chirine Etezadzadeh

Können wir uns in Europa, Deutschland oder München überhaupt noch einen eigenen Weg leisten – in Anbetracht der Monopole und futuristischen Szenarien in den USA und China?

Ja, das können und müssen wir. Wichtig ist es, eine Vorstellung davon zu entwickeln, wo wir hinwollen und uns in die entsprechende Richtung zu bewegen. Sobald wir eine gemeinschaftliche Haltung entwickelt haben, wird es Akteuren schwerfallen, unsere Märkte mit Lösungen zu penetrieren, die unseren Anforderungen nicht entsprechen.

Natürlich brauchen wir dann auch alternative Lösungen, die so attraktiv und wettbewerbsfähig sind, dass wir sie nutzen wollen. Dies erfordert aber eine Strategie, entsprechende Investitionen, Offenheit, Kooperationsfreude und letztlich auch eine veränderte Haltung der Konsumenten. Es bleibt zu hoffen, dass die gegenwärtige Situation Deutschland die nötigen Impulse gibt, um hinsichtlich dieser Aspekte besser zu werden.

Was ist Ihre persönliche Handlungsmaxime bei Ihrem eigenen Engagement für die digitale Stadt der Zukunft?

Wir sollten nicht fragen, wie wir in Zukunft leben werden, sondern wie wir leben wollen. Mit dem in unserem Herausgeberband „Smart City – Made in Germany“ vorgelegten Blisscity-Konzept möchten wir der Smart-City-Entwicklung einen positiven Impuls geben. Damit haben wir verdeutlicht, dass jeder zu einer positiven Zukunft beitragen kann. Die Stadt München geht offensichtlich mit positivem Beispiel voran.

Frau Professor Etezadzadeh, ich danke Ihnen vielmals für dieses Interview.

Weitere Informationen zur Smart City München und den Projekten für die Stadt der Zukunft finden Sie am Ende dieses Beitrages.

Prof. h. c. Dr. Chirine Etezadzadeh

Prof. h. c. Dr. Chirine Etezadzadeh gründete und leitet das SmartCity.institute in Stuttgart. Seit bald zehn Jahren gestaltet sie mit zahlreichen Projekten, Publikationen und Veranstaltungen sowie beratend die Smart-City-Entwicklung mit. Im Jahr 2017 veranstaltete sie gemeinsam mit der Messe Frankfurt die erste Smart City Convention Blisscity. Mit ihrem Herausgeberband Smart City – Made in Germany, den sie mit über 140 Mitwirkenden gestaltet hat, hat sie ein deutsches Standardwerk zum Thema Smart City vorgelegt. Ihre aktuelle Videoserie „Have a Tea with Dr. E. – Wie geht es Deutschland?“ ist auf www.smartcitynews.global zu finden.

1 Kommentar


  1. Spannendes Interview. Die Aussage, von Frau Professor Etezadzadeh, dass wir einen eigenen Weg zur europäischen Stadt der Zukunft gehen müssen, kann ich nur bekräftigen. Unter der deutschen Ratspräsidenschaft wird momentan die Leipzig Charta von 2017 fortgeschrieben. Neu ist die ausdrückliche Gemeinwohlorientierung. Unter dem Titel “The New Leipzig Charter – the transformative power of cities for the common good” wird anerkannt, dass die Städte eine wichtige Rolle beim Erhalt der Lebensqualität und dem Entwickeln von Lösungen spielen und hierbei die Gemeinwohlorientierung Leitgedanke sein muss. Die Digitalisierung ist hierfür ein Werkzeug und darf nicht Selbstzweck sein. Im Rahmen der EU Mission “100 Klimaneutrale Städte bis 2030 – von und für die Bürgerinnen und Bürger” wird den digitalen Technologien eine wichtige Rolle eingeräumt, um den europäichen Weg der digitalen Transformation in Städte zu stärken ,jedoch immer unter dem Gesichtspunkt, dass unbedingt gemeinsam mit den Bürger*innen Orte geschaffen werden sollen, wo sie gerne leben und arbeiten. Ein erstes großräumiges Smart City Projekt erprobt München mit Smarter Together. Der Stadtrat hat Ende letzten Jahres entschieden, dass München sich für das 100 Klimaneutrale Städte-Programm bewerben soll. Wenn dies klappt, können dadurch weitere Meilensteine in Richtung Klimaneutrales München beschritten werden. Digitale Techniken haben dabei eine spannende Rolle.

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Elisabeth Wagner, - Interviewführende
Co-Autoren­schaft:
Elisabeth Wagner,
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Hinweis: Gastbeiträge sind persönliche Inhalte der Autor*innen und geben nicht die Ansicht der Landeshauptstadt München wieder.