Eine klimaresiliente Altstadt mit dem Digitalen Zwilling München
Mit dem Digitalen Zwilling München werden Hitzeinseln identifiziert und die Planung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel gezielt unterstützt.
Klimaanpassung in einer historischen Altstadt
Zum Jahresanfang scheint die Hitze des Sommers vergessen. Doch in ein paar Monaten wird es nicht nur in der Münchner Innenstadt wieder vielerorts so heiß, dass man sich nach grünen und kühlen Orten sehnt. Innerhalb von 150 Metern soll es zukünftig – trotz steigender Temperaturen aufgrund des Klimawandels – möglich sein, kühle Aufenthaltsorte in der Altstadt zu erreichen. Das sieht ein Gutachten des Büros mahl·gebhard·konzepte vor, das im Auftrag des Referats für Stadtplanung und Bauordnung erstellt wurde. Die große Herausforderung für die Planer*innen: die Münchner Altstadt ist geprägt von zahlreichen historischen und denkmalgeschützten Gebäuden, Plätzen und Straßen. Dieser Charakter und die Attraktivität müssen erhalten werden und mit Maßnahmen der Klimaanpassung Hand in Hand gehen.
Doch wo ist es besonders heiß? Wo ist der Handlungsdruck besonders hoch? Welche Maßnahmen zur Abkühlung erzielen die gewünschte Wirkung? Und wie passen sie sich in die denkmalgeschützten Strukturen des Altstadtensembles ein? Zur Beantwortung dieser Fragen haben Mitarbeitende des GeodatenService im Kommunalreferat mit dem IT-Referat den Digitalen Zwilling München genutzt und weiterentwickelt. Dadurch ist es möglich, mithilfe von Simulationen des Münchner Stadtklimas die Folgen des Klimawandels sichtbar und Planungen bereits heute erlebbar zu machen. Gefördert wurde dies vom Freistaat Bayern im Rahmen der EU-Innenstadt-Förderinitiative, mit der Mittel der Europäischen Union aus dem Programm REACT-EU zur Verfügung gestellt werden.
Identifikation von Hitzeinseln in der Münchner Innenstadt
Maßnahmen für eine klimaresiliente Altstadt müssen zielgerichtet und individuell entwickelt werden, damit sie wirksam sind und sich in die vielfältigen räumlichen Strukturen einfügen. Ein wesentlicher Aspekt in diesem Zusammenhang: Wo ist es im Sommer besonders heiß und der Handlungsdruck besonders hoch?
Für die Beantwortung dieser Frage hat der GeodatenService München das neu entwickelte Stadtklimamodell PALM-4U an den Digitalen Zwilling angebunden und das Stadtklima für die Münchner Innenstadt simuliert. Das Simulationsmodell ermittelt dabei vielfältige Daten und Kennwerte für unterschiedliche Tages- und Nachtzeiten, darunter Informationen zu Windströmen, Lufttemperaturen und den PET-Index. Dieser bildet die gefühlte Temperatur ab. Für fachliche Modellannahmen und die richtige Interpretation der komplexen Simulationsergebnisse fand eine enge Zusammenarbeit mit dem Referat für Klima- und Umweltschutz statt.
„Die Stadtklimasimulation mit dem Digitalen Zwilling veranschaulicht die hohe kühlende Wirkung von Begrünungs- und Entsiegelungsmaßnahmen. So lassen sich passgenauere Lösungen entwickeln damit die Klimaanpassung für alle Münchner*innen gelingt.“
Christine Kugler, Referentin für Klima- und Umweltschutz, Landeshauptstadt München
Für die beteiligten Akteur*innen wurden die zentralen Ergebnisse in unterschiedlichen Karten verständlich visualisiert und in einer interaktiven Webanwendung zur Verfügung gestellt. So konnten die identifizierten „hot spots“ bei der Auswahl sogenannter Fokusräume berücksichtigt werden. Für diese wurden durch die Gutachter*innen konkrete Vorschläge für Anpassungsmaßnahmen erarbeitet.
Wirksamkeit von Klimaanpassungsmaßnahmen simulieren
Für den Fokusraum „Hackenplatz mit Hackenstraße“ wurden die Stadtklimasimulationen vertieft. Hierfür wurden die zweidimensionalen Konzepte für Anpassungsmaßnahmen, wie neue Bäume, einige Pflanzbeete, Fassadenbegrünungen oder einer Umgestaltung des Hackenplatzes, die im Rahmen des Gutachtens „Integration von klimaresilienten Grün- und Freiraumstrukturen in die historische Münchner Altstadt“ erstellt wurden, in den dreidimensionalen Digitalen Zwilling überführt. Die Stadtklimasimulation wurde gemeinsam mit dem Fraunhofer IBP durchgeführt. Das Ergebnis der Simulation im Digitalen Zwilling zeigt: Die Maßnahmen erhöhen die Aufenthaltsqualität durch eine deutlich niedrigere Tageshöchsttemperatur. Aber auch die Nachttemperaturen könnten spürbar gesenkt werden. Deutlich wird auch, dass passgenaue Maßnahmen individuell für jeden Ort vorgeschlagen werden sollten, um eine möglichst hohe kühlende Wirkung zu erzielen.
„Der digitale Zwilling ist ein hervorragendes Instrument, die Transformation der Stadt in überzeugenden Szenarien anschaulich darzustellen und eröffnet die Möglichkeit, einen realistischen Blick in die Zukunft zu werfen.“
Prof. Dr. (Univ Florenz) Elisabeth Merk, Stadtbaurätin, Landeshauptstadt München
Stadtplanung im Klimawandel erlebbar machen
Die 3D-Visualisierung wurde in enger Zusammenarbeit von Mitarbeitenden des GeodatenService München, dem IT-Referat mit IT@M mittels der Spiele-Engine Unity erlebbar gemacht. Die erstellte Anwendung ermöglicht es, sich wie in einem Computerspiel in der Fußgängerperspektive frei durch den Fokusraum zu bewegen und die Zukunftsideen für Hackenstraße, Hackenplatz und Brunnstraße bereits heute zu erleben. Dabei kann per Mausklick zwischen der heutigen Situation und dem Vorschlag für die Umgestaltung gewechselt werden. Zudem können auch Visualisierungen der Stadtklimasimulation ergänzt werden: Heißere und kühlere Orte werden ebenso sichtbar wie die Wirkung der vorgesehenen Maßnahmen.
Mit der Anwendung können alle Beteiligten die Maßnahmen durch realistische Visualisierungen besser bewerten. Mögliche Konflikte werden frühzeitig sichtbar und können durch geeignete Ansätze auch in einer fachübergreifenden Zusammenarbeit gelöst werden.
„Am Beispiel der klimaresistenten Altstadt zeigt sich sehr anschaulich, wie grundlegend wichtig die Entwicklung und Bereitstellung innovativer IT-Lösungen für die Zukunft der Landeshauptstadt München ist.“
Dr. Laura Dornheim, IT-Referentin, Landeshauptstadt München
Der Digitale Zwilling als systemisches Abbild Münchens im Klimawandel
Bei den dargestellten Simulationen und Visualisierungen greifen die verschiedenen Bausteine des Digitalen Zwillings optimal ineinander. Essenzielle Grundlage für die Simulationen und Visualisierungen ist die umfassende Datenbasis des Digitalen Zwillings: aus der städtischen Luftbefliegung, der Straßenbefahrung ("Streetview"), dem semantischen 3D-Stadtmodell und zahlreichen weiteren städtischen Geobasisdaten. Durch Simulationen werden nicht nur Informationen zur Ist-Situation ergänzt, sondern auch Veränderungen im Rahmen von „Was-wäre-wenn-Szenarien“ messbar. Alle beteiligten Akteur*innen können dann gemeinsam – auf Basis einer einheitlichen und umfassenden Datenbasis sowie realistischen und verständlichen Visualisierungen – Planungen optimieren und Entscheidungen noch fundierter treffen.
„Hochwertige Basisdaten, neue Simulationsmodelle und moderne Visualisierungen greifen beim Digitalen Zwilling wie Zahnräder ineinander. So gelingt es, die verschiedenen Fachbereiche der Stadtverwaltung zu unterstützen und München zukunftsfest zu machen.“
Kristina Frank, Kommunalreferentin, Landeshauptstadt München
Durch die Identifikation von Hitzeinseln mit der Stadtklimasimulation können kühlende Maßnahmen gezielt dort priorisiert und optimiert werden, wo sie am nötigsten und wirkungsvollsten sind. Durch die realistischen Visualisierungen können sie zudem stadtgestalterisch optimiert werden. So unterstützt der Digitale Zwilling dabei, dass die Münchnerinnen und Münchner ihre historische Altstadt auch zukünftig genießen können – und es an heißen Tagen nicht mehr als 150 Meter zum nächsten kühlen Ort haben.
Ein Beitrag von:
Alexander Mayr,
GeodatenService München, Landeshauptstadt München
Sebastian Freller,
GeodatenService München, Landeshauptstadt München